Freier Mitarbeiter oder sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter?

Bei der Sozialversicherungspflicht kommt es ausschließlich auf die richtige Konzeption und die Abläufe in der betrieblichen Organisation an. Allein vertragliche Regelungen, die Bezeichnung als Freier Mitarbeiter oder gar nur der Glaube daran, bringen Unternehmen wie auch öffentliche Körperschaften in Bedrängnis.

Seit Jahren propagiert das Bundessozialgericht, dass „stets die konkreten Umstände des Einzelfalls“ maßgebend sind, BSG, Urteil vom 24.10.2023 – B 12 R 9/21 R. Selbst Körperschaften öffentlichen Rechts sind vor dem Irrtum „Freier Mitarbeiter“ nicht gefeit. Zuletzt hatte das Bundessozialgericht einem bei einer Kassenzahnärztlichen Vereinigung im ärztlichen Notdienst tätigen Zahnarzt als sozialversicherungspflichtig beschäftigt eingestuft – und das, obwohl selbst die Deutsche Rentenversicherung Bund zunächst von einer freien Mitarbeit ausgegangen war!

Einer Regel-Ausnahme-Aussage erteilt das Bundessozialgericht eine klare Absage:

Dem nachvollziehbaren Bedürfnis der Betroffenen nach Verwaltungsvereinfachung und erhöhter Rechtssicherheit durch abstraktere, einzelfallüberschreitende Aussagen im Hinblick auf bestimmte Berufs oder Tätigkeitsbilder kann der Senat auch weiterhin nicht auch nicht im Sinne einer „Regel-Ausnahme- Aussage“ nachkommen.
– BSG, Urteil vom 24.10.2023 – B 12 R 9/21 R.

Die Hürden sind hoch! Die freie Zeiteinteilung ist schon lange kein ausschlaggebendes Kriterium mehr. Was also tun?

Konzeption freier Mitarbeiter

Auftraggeber – Einzelunternehmer, Unternehmen, öffentliche Träger – müssen bei der Beschäftigung freier Mitarbeiter von Anfang an Vorbereitungen treffen, möglichst noch vor Beginn ihrer Beschäftigung. Dazu sind die Tätigkeiten des freien Mitarbeiters konkret herauszuarbeiten. Auf die vertraglichen Vereinbarungen kommt es nicht an, sondern auf die tatsächlichen Umstände. Modifikationen der Betriebsabläufe haben daher erhebliche Auswirkungen auf die Feststellung des Erwerbsstatus.

Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Herauszuarbeiten ist daher, ob und welchen Weisungen der Mitarbeiter unterliegt und ob der Mitarbeiter in die betriebliche Organisation eingebunden ist, eigenes unternehmerisches Risiko trägt und unternehmerischen Einfluss ausüben kann. Das betrifft einerseits ein Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht, ferner die Nutzung der Räumlichkeiten, wie auch der personellen und materiellen Ausstattung. Eine selbstständige Tätigkeit ist vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet, also beispielsweise auch ein eigenes Verdienstausfallrisiko. Spätere Änderungen der tatsächlichen Umsetzung erfordern gegebenenfalls ein neues Verfahren.

Bereits im Rahmen der Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses ist juristischer Input von Vorteil. Die vertragliche Umsetzung folgt also der tatsächlichen Konzeption.

Schutzmaßnahmen errichten

Die Schutzmaßnahmen sind einfach: Die Kosten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sind zunächst als Risiko zu kalkulieren und das Ergebnis des Statusfeststellungsverfahrens (Feststellung des Erwerbsstatus) abzuwarten. Nur die Feststellung eines selbständigen Erwerbsstatus schützt. Nicht ausreichend ist es, den Erbwerbsstatus eines Mitarbeiters zu prüfen. Vielmehr ist bei jedem freien Mitarbeiter auf die Feststellung des Erwerbsstatus zu drängen. Eine Gruppenfeststellung erleichtert die Bewertung im Rahmen des Feststellungsverfahrens; die Gruppenfeststellung ist allerdings kein Freibrief für spätere Anstellungen. Die Gruppenfeststellung ist dem Antrag auf Feststellung des Erwerbsstatus beizufügen. Es gilt weiterhin: Nur die Feststellung schützt. 

Bei einer Vielzahl von Freien Mitarbeitern ist daher eine Automatisierung des Feststellungsverfahrens sinnvoll – denn der Antrag ist jeweils vor Beginn der Beschäftigung anzustrengen.

Risiken kennen

Bei „Scheinselbstständigkeit“ drohen sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer rechtliche und finanzielle Konsequenzen. Auftraggeber riskieren die Nachzahlung aller Zahlungsverpflichtungen wie für nichtselbständig Beschäftigte: Die Nachzahlungspflicht für die Sozialversicherungsbeiträge und die Lohnsteuer beträgt bis zu vier Jahre rückwirkend, bei Vorsatz sogar bis zu 30 Jahre. Auch der Vorsteuerabzug steht im Risiko. Manche Unternehmen führt dies in die Insolvenz. Gesellschafter, die zugleich als Geschäftsführer agieren, müssen dann ein gefährliches Geschäftsführerrisiko fürchten: der Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter. Wem das noch nicht reicht: Es drohen zudem Bußgelder sowie Geld- und Gefängnisstrafen gegebenenfalls mit Auswirkungen auf die Berufserlaubnis und Zuverlässigkeit. 

Sollte auch arbeitsrechtlich der Arbeitnehmerstatus anerkannt werden, genießt der Auftragnehmer zusätzliche Ansprüche wie Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; ihm droht aber auch eine Rückzahlung unverhältnismäßiger Lohnzahlungen.

Vorsorge treffen

Die beste Vorsorge ist die Kenntnis der Risiken und eine vernünftige rechtliche Einschätzung. Dann geht es an Konzeption und Umsetzung. Auf das „Legal Design“ kommt es an. Die Feststellung des Erwerbsstatus gibt Sicherheit und schützt. Bei wiederholten und vielfachen freien Mitarbeitern sind eine Gruppenfeststellung sowie die Automatisierung der Feststellung des Erwerbsstatus in Betracht zu ziehen.

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