Digitalisierung der Verwaltung
GovTech verspricht einen leistungsfähigen, effizienten Staat. Dabei reicht die technologische Entwicklung der Verwaltung weit bis in die 90er Jahre zurück und darüber hinaus.
Bereits 1993 befasste sich eine Dissertation mit dem Thema des automatisierten Verwaltungsakts. Im Vorwort schrieb der Autor:
„Wohl kaum eine Entwicklung hat den Verwaltungsalltag so sehr verändert wie die Einführung des Computers. Mit rasanter Geschwindigkeit hat er nahezu jeden Arbeitsplatz in der Verwaltung erobert. Ein Ende dieser Entwicklung ist noch nicht abzusehen.“ – Polomski, Der automatisierte Verwaltungsakt, Duncker & Humblot, 1993
30 Jahre später wird die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung als 39dc2cce-8255-43e8-b56d-696739ad2fe6 beworben. Doch können automatisierte Bescheide die öffentliche Verwaltung tatsächlich revolutionieren? Es klingt fast nach heißen Wedges. Doch allein ein neuer Name macht noch kein neues Produkt. Folgt man jedoch dem GovTech-Hype, so scheint #LegalTech das Rad neu zu erfinden. Das hat Auswirkungen, bis hin zum automatisierten Verwaltungsakt.
GovTech – aus Sicht des Fachanwalts
Der Fachanwalt für IT-Recht gewinnt meist ungewollt früh Erfahrung mit gescheiterten IT-Projekten. Das liegt weniger am Fachanwalt als an der Erwartungshaltung der Beteiligten und der Kunst der Beschaffung. Sind Vertrieb und Marketing der Anwendungsentwickler besser als das Produkt, erkennen Kunden – im privaten wie im öffentlichen Bereich – ihren Fehler meist zu spät. Sie baden ihn schlimmstenfalls im Haftungsprozess aus, wenn sich Auftraggeber und Auftragnehmer vor Gericht wiederfinden. Zu schön klingt es, könnte doch der Bürger allein durch die Eingabe seines Verlangens eine automatisierte Ablehnung oder Genehmigung erhalten, vielleicht sogar KI-gestützt durch die Anwendung geführt werden. Fachkräftemangel ade.
Können Bürger die Daten nicht eingeben, Verwaltungsbeamte die Daten nicht auslesen, sind die Server nicht erreichbar, gehen Daten verloren oder werden Daten gehackt, stellt sich schnell die Frage nach den Schuldigen. Spätestens bei massenhaften Bescheidanfechtungen dürfte es für die Behörde teuer werden. Denn auch Anwaltskanzleien rüsten mit automatisierten Rechtsmitteln auf.
Die Behörde hat dann nicht nur in nutzlose Software investiert, sondern auch weiteren Schaden: Rückabwicklung, Neubescheidung, Verfahrenskosten, Amtshaftung. Immerhin: Hat das Unternehmen zu viel versprochen, bliebe ein Regress. Wenn es die Solvenz des Unternehmens und die ihrer Geschäftsführer zulässt. Natürlich ist es sinnvoll, Innovationen in der öffentlichen Verwaltung offen gegenüberzustehen. Fachkräfte- und Personalmangel wirken sich auch auf die Verwaltung aus. Zugleich steigen Anforderungen und Anzahl der Verfahren. Da hilft Umdenken.
Schutz der öffentlichen Verwaltung
Doch wie kann sich die öffentliche Verwaltung vor Nepp schützen? An aller erster Stelle steht eine korrekte Bedarfsermittlung. Sie sollte nicht von Versprechen und „bunten Bildchen“ geleitet sein oder dem durch Hochglanz-PDF erweckten Traum der perfekten Anwendung. Auch die mündlichen Versprechen der Bühne dürfen keinen Anlass geben, auf die Bedarfs- und Handlungsanalyse zu verzichten.
Die Verwaltung muss prüfen, ob sich der Arbeitsablauf überhaupt zur Digitalisierung und Automatisierung eignet. Dazu sind auch Vorgaben des allgemeinen und besonderen Verwaltungsrechts zu beachten. Stehen dem Begehren beispielsweise Formvorschriften entgegen? Hat die Verwaltung ein Ermessen? Das Projekt ist zu skizzieren und rechtlich abzusegnen. Ein technisch versierter Rechtsanwalt kann als Legal Architect mögliche rechtliche Konstellationen eines Verfahrens prüfen, bevor ein Legal Engineer als Schnittstelle zwischen Verwaltung und IT die Automatisierung begleitet.
Wohlwissend regelt § 35a VwVfG (Bund), dass ein Verwaltungsakt dann vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden kann, sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist und weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht. Der automatisierte Verwaltungsakt erweist sich spätestens bei Ermessensentscheidungen aufgrund gesetzlicher Vorgaben derzeit noch als Utopie. Die Anforderungen an die Softwareanwendungen sind in einer Leistungsbeschreibung sauber zu dokumentieren. Die fachliche Eignung und Zuverlässigkeit des Softwareherstellers sind vorzugeben. Die IT- Verträge müssen den rechtlichen Rahmen abstecken; sie schützen die Behörde vor manchen Überraschungen. Zuständigkeiten im Projekt sind abzugrenzen.
Bei der Beschaffung sind sodann haushalts- und vergaberechtliche Grundsätze zu wahren. Das bauscht zwar ein Projekt auf; ist für den Projekterfolg allerdings empfehlenswert. Der Softwarehersteller sollte die erforderlichen fachlichen Qualifikationen und Erfahrungen vorweisen. Dazu bietet es sich an, Referenzen einzuholen. Werden mindestens die anerkannten Standards der Technik eingehalten?
Der Hersteller sollte ferner die Zuverlässigkeit für eine langjährige Begleitung bieten. Vor allem bei Gründern und Start-Ups bestehen Risiken, ob und wie sie für die kommenden Jahre hinreichend Gewähr für die Kontinuität und Kompatibilität ihrer Produkte sicherstellen. Stehen ausreichend Entwickler zur Verfügung und wie werden Weggänge kompensiert? Die Erfahrung lehrt, dass der Weggang selbst eines Wissensträgers Projekte zum Scheitern verurteilen können.
Manchmal hilft es bereits, mit kleineren Projekten anzufangen. Arbeitsabläufe der Verwaltung sind zu beobachten und zu vereinfachen. Das hilft auch den Mitarbeitern. Denn ob diese das „ganz neue Rad“ mitfahren wollen, steht an ganz anderer Stelle.